Missbrauchsopfer lächerlich gemacht

von Joe Doe

Das ZDF Magazin Royale ist eigentlich dafür bekannt, Korruptionsskandale aufzudecken. Meist wird dabei gut recherchiert, weshalb die Sendung bei den Herrschenden nicht sonderlich beliebt ist. Doch was Jan Böhmermann am 8. September 2023 abgeliefert hat, ist nicht nur Ergebnis grottenschlechter Recherche, sondern außerdem ein Schlag ins Gesicht von Missbrauchsopfern und Menschen mit dissoziativer Identitätsstörung.

Es ging um rituellen Missbrauch und Mind Control, was beides als pure Verschwörungstheorie dargestellt wurde, in die Welt gesetzt von Psychotherapeuten wie Michaela Huber. Nun mag Huber wegen ihrer Methoden und religiösen Bezüge in der Kritik stehen, doch ist sie bei weitem nicht die einzige Psychotherapeutin, die bereits mit dem Thema der rituellen Gewalt, insbesondere gegen Kinder, konfrontiert worden ist. Es gibt weltweit dokumentierte Fälle.

Das Magazin Royal interessiert sich aber nicht im Geringsten dafür, was Psychologen sagen, und erst recht nicht, was Opfer sagen. Die kommen überhaupt nicht zu Wort. Stattdessen sind die Landespolizeidirektionen angeschrieben worden, denen keine Erkenntnisse vorliegen. Woran mag das wohl liegen? Zum einen wird rituelle Gewalt nicht als eigener Straftatbestand geführt, sondern fällt in den Bereich des „regulären“ Kindesmissbrauchs.

Zum anderen kommt es nur sehr selten zu Anzeigen, da viele Opfer berechtigte Angst um ihr Leben haben und sich kaum Hoffnung machen, dass polizeiliche Ermittlungen für die Täter Konsequenzen haben. Das ist im Übrigen bei den meisten sexuellen Übergriffen, auch ohne rituellen Hintergrund, der Fall. Die Opfer von Kindesmissbrauch erstatten fast immer erst Jahre oder Jahrzehnte später Anzeige, wenn überhaupt. Oft sind die Taten dann schon längst verjährt. Man denke nur an den Fall des britischen Moderators Jimmy Savile, der hunderte Kinder missbraucht hat und zu Lebzeiten nie dafür angeklagt, geschweige denn verurteilt wurde.

Die Redaktion der ZDF-Sendung hat sich jedoch nicht mal ansatzweise die Mühe gemacht, sich um die Opfer von rituellem Missbrauch zu kümmern. Stattdessen wird einfach die steile These aufgestellt, dass ein globales Missbrauchsnetzwerk totaler Unsinn sei. Ach ja? Und was ist mit der katholischen Kirche, deren Vertreter über Jahrhunderte systematisch Kinder missbraucht haben? Die Täter wurden anschließend nicht nur vom Vatikan gedeckt, sondern nach ihrem Auffliegen in andere Gemeinden versetzt, wo sie ungestört weitermachen konnten.

Das alles ist bekannt, aber würde man in der deutschen Justiz nachfragen, ob es Urteile gegen pädophile Pfaffen gibt, würde man wohl ähnliche Antworten erhalten, wie im Falle der Anfrage über rituellen Missbrauch bei den Landespolizeidirektionen. Die Ermittlungen hat der deutsche Staat nämlich der katholischen Kirche höchstselbst überlassen und somit den Bock zum Gärtner gemacht. Allerdings ändert das nichts daran, dass der Missbrauch stattgefunden hat. Im Übrigen wollte es bei der katholischen Kirche anfangs auch niemand wahrhaben und obendrein handelt es sich in diesen Fällen ebenfalls um eine Art von rituellem Missbrauch, wenn auch nicht um satanistischen.

Und darin liegt der nächste große Fehler von Böhmermanns Rechercheteam. Rituell wird mit satanistisch gleichgesetzt und damit generell jede Form des rituellen Missbrauchs geleugnet. Allerdings gibt es durchaus sehr gut dokumentierte Fälle von rituellem Missbrauch. So gibt es in einigen afrikanischen Ländern wie Somalia Genitalverstümmelungen an Mädchen, nicht selten mit Todesfolge. Da diese menschenverachtende Praxis auf religiöse und kulturelle Traditionen fußt, handelt es sich sehr wohl um rituellen Kindesmissbrauch.

Gleiches gilt für diverse Sekten, die gezielte Gewalt gegen Kinder ausüben. Erinnert sei hier nur an die Organische Christus Generation von Ivo Sasek, dessen eigene Kinder das Buch „Mama, bitte züchtige mich“ verfasst haben. Auch das ist ein klar belegter Fall, der ironischerweise sogar von einen ausgewiesenen Verschwörungstheoretiker verübt wurde und wird. Ein weiteres Beispiel war die Colonia Dignidad, eine Sekte des Naziverbrechers Paul Schäfer (1921-2010), der in Chile unter der Pinochet-Diktatur unzählige Kinder rituell missbraucht hat.

Und wenn schon Christen bzw. Pseudochristen zu so etwas fähig sind, warum nicht auch Satanisten? Die werden jedoch vom Magazin Royal auf einen Grufti reduziert, der sich anscheinend zu viele Horrorfilme reingezogen hat. Ja, es gibt harmlose Poser, die absolut nichts mit rituellem Missbrauch zu tun haben. Das gilt tatsächlich für die meisten, die sich in aller Öffentlichkeit zum Satanismus bekennen und Anhänger der Church of Satan oder ähnlicher Vereine sind. Aber die Opfer von ritueller Gewalt sagen unisono, dass die Kreise, in die sie hineingeboren wurden, nach außen völlig normal auftreten. Abgesehen von einigen namhaften Künstlern vielleicht, die sich offen auf Aleister Crowley beziehen.

Warum hat man eigentlich nicht in diese Richtung recherchiert? Das Magazin Royal verliert kein Wort über okkulte Geheimbünde wie den Golden Dawn, den Ordo Templi Orientis oder Crowleys Thelema-Orden. Ebenso wenig über Crowleys Schriften, in denen durchaus auch etwas über das Opfern von Kindern steht. Es wird einfach so getan, als ob es nichts davon je gegeben hätte! Dabei sind Crowleys Bücher frei verfügbar und die Existenz aller Geheimbünde, in denen er gewirkt bzw. die er selbst gegründet hat, sind historisch belegt.

Die Sendung berichtet jedoch nicht nur einseitig und ignoriert leicht nachprüfbare Fakten, sondern macht sich in extremer Weise über die Opfer von Missbrauch lustig. Übrigens nicht nur von rituellem Missbrauch, sondern von Missbrauch allgemein. Es werden nämlich sogar die Folgen der erlittenen Traumata angezweifelt. Die Sendung erweckt dabei den Eindruck, als sei multiple Persönlichkeitsstörung bzw. dissoziative Identitätsstörung ein Hirngespinst, dessen Existenz jeder medizinischer oder psychologischer Grundlage entbehre.

Dem würde nicht nur Michaela Huber widersprechen, sondern schlichtweg jeder Arzt und Therapeut, der Psychologie studiert hat! Mal ganz zu schweigen von den Betroffenen. MPS oder dissoziative Identitätsstörung, wie es inzwischen genannt wird, ist sehr gut belegt. Ebenso, dass sich bestimmte Persönlichkeiten durch Trigger stimulieren lassen. Doch auch diesbezüglich macht sich Jan Böhmermann nur darüber lustig, indem er ein Foto des Papstes zeigt. Auf diesem macht Franziskus aber die Ich-liebe-dich-Geste aus der Gebärdensprache und eben nicht den Baphomet. Der abgespreizte Daumen gibt hier den Ausschlag.

Die korrekte Geste macht Böhmermann selbst. Wir unterstellen mal, dass er sich damit nur über das Thema lustig machen will, immerhin ist das Magazin Royal eine Satire-Sendung. Doch auch das ist problematisch, denn es triggert und verhöhnt Opfer ritueller Gewalt gleichermaßen. Um dem noch eins draufzusetzen, ändern sich mehrmals Böhmermanns Augenfarbe, da dies ein Anzeichen von MPS sein soll.

Die gezielte Abspaltung von Persönlichkeiten wird natürlich ebenfalls ins Lächerliche gezogen, als wäre Mind Control eine absurde Verschwörungstheorie. Die durch den amerikanischen Freedom of Information Act an die Öffentlichkeit gelangten Dokumente des CIA-Gedankenkontrollprojektes MK-Ultra sind dem Rechercheteam offenkundig genauso entgangen wie alles andere. Es ist geradezu kinderleicht, diese Sendung Punkt für Punkt zu widerlegen.

MPS existiert! Mind Control existiert! Satanismus (in verschiedenen Ausprägungen) existiert! Und ja, auch ritueller Missbrauch (ebenfalls in diversen Ausführungen) existiert! Doch davon will Jan Böhmernann nichts wissen. Er ignoriert sämtliche Fakten und schiebt alles auf die sogenannte „Satanic Panic“ in den USA. Die gab bzw. gibt es tatsächlich. Sie ist Ausdruck von religiösem Fundamentalismus und führte zu solch absurden Theorien, dass bereits das Spielen von „Dungeons and Dragons“ das Tor zur Hölle öffnen und die Seelen der betreffenden Kinder auf alle Ewigkeit verdammen würde. Kann man sich darüber lustig machen? Klar! Aber nicht auf Kosten der Opfer von realem rituellen Missbrauch!

Die folgenden Sendungen über das Fürstenhaus von Liechtenstein sowie rechte Chatgruppen in der hessischen Polizei waren übrigens wieder auf gewohnt hohem Niveau, von daher bleibt zu hoffen, dass es sich beim Thema rituelle Gewalt um einen der wenigen Ausrutscher handelt. Entschuldigen sollte sich Böhmermann aber auf jeden Fall, denn derartiges geht gar nicht!

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